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Ukraine ist nicht Jugoslawien

Ukraine ist nicht Jugoslawien

Putin und seine Anhänger verweisen jetzt im Krieg gegen die Ukraine gern auf das Eingreifen der NATO 1999 im ehemaligen Jugoslawien.

Das ist eines der typischen Beispiele, wie Putin ein Ereignis aus der Vergangenheit nimmt und es so verdreht und verzerrt, bis es als Begründung für sein rechtswidriges Handeln herhalten kann. Das Eingreifen der NATO 1999 in Jugoslawien lässt sich jedoch aus mehreren Gründen nicht mit dem Krieg gegen die Ukraine 2022 vergleichen:

Kurz zusammengefasst:

Ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung:

  • Der Kosovo in der Bundesrepublik Jugoslawien: hier lebten damals fast 90 Prozent Kosovo-Albaner und nur rund 10 Prozent Serben.
  • Der Donbas in der Ukraine: die russischstämmige Bevölkerung beträgt weniger als 40 Prozent, mehr als 60 Prozent sind Ukrainer.

Wunsch der Bevölkerung:

  • Kosovo: eine breite Mehrheit der Bevölkerung wollte damals weg von Serbien und unabhängig werden.
  • Donbas: Umfragen aus 2014 zufolge befürworteten weniger als 30 Prozent einen Beitritt zu Russland, die Mehrheit wollte in der Ukraine bleiben (Zahlen siehe hier).

Konfliktparteien:

  • Jugoslawien und Kosovo: hier gab es schon lange vor dem Eingreifen der NATO langjährige innerstaatliche Konflikte.
  • Ukraine und Donbas: vor dem ersten Krieg 2014 ist von gewaltsamen Konflikten nichts bekannt, gewaltsame Konflikte im Donbas kamen nach dem Überfall auf die Krim, die Innerstaatlichkeit ist zweifelhaft nachdem Berichte von militarisierten und gut ausgestatteten „Grünen Männchen“ ohne Militärabzeichen bekannt wurden, im Mai 2014 gab es zudem Berichte, denen zufolge nur 20 Prozent der Kämpfer einheimisch und 80 Prozent „importierte Söldner“ seien.

Legitimation:

  • Die NATO war nicht von der UN legitimiert, Hintergrund war, dass das traditionell Serbien-freundliche Russland sowie China die Zustimmung verweigerten – im Westen kamen aber angesichts der eskalierenden Konflikte zunehmend Forderungen, nach dem Massaker von Srebrenica einen weiteren Völkermord zu verhindern.
  • Keine internationale Organisation hat Russland legitimiert, sich 2014 die Krim zu holen, die pro-russischen Konfliktparteien im Donbas zu unterstützen oder 2022 in die Ukraine einzumarschieren!

Ziel oder Absicht:

  • Ziel der NATO war nicht, sich den Kosovo einzuverleiben, sondern Ziel war, eine weitere humanitäre Katastrophe zu verhindern.
  • Ziel Putin ist es, die Ukraine militärisch zu besiegen, um eine pro-russische und putin-treue Regierung einzurichten und sich damit die Ukraine einzuverleiben (auch wenn das Land formal ein eigener Staat bleibt).

Kurz und gut:

Das Eingreifen im Kosovo lässt sich nicht vergleichen mit dem von Putin begonnenen Ukraine-Krieg! Die angebliche Unterdrückung bzw. der angebliche Völkermord oder Genozid ist als Narrativ konstruiert, um einen Vorwand für den Krieg zu inszenieren.

Als LKR halten wir Putins Erklärungen für sehr fadenscheinige Argumente, um einen imperialistischen Krieg zu begründen. Diesen Krieg möchten wir zum Anlass nehmen, unsere Bindung an den Westen und die NATO zu betonen. Die NATO als Militärbündnis ist ein Gegner, den Putin nicht ohne weiteres angreifen wird. Schon aus diesem Grund sollten wir froh sein, dass Deutschland Mitglied der NATO ist und die jahrelangen Versäumnisse in der Verteidigungspolitik des Landes müssen umgehend beseitigt werden. Nur ein starkes Bündnis hindert Putin daran, seine Expansion weiter Richtung Westen zu treiben.


Für Leser, die noch jünger sind und die Ereignisse damals nicht miterlebt haben, hier eine Zusammenfassung zu den Hintergründen:

Rückblick: Zerfall Jugoslawiens

Als kurzer Rückblick: während des Kalten Krieges war der Vielvölkerstaat Jugoslawien weder dem Westen noch dem Ostblock an und wurde von beiden Parteien hofiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 fiel diese Unterstützung fort, eine wirtschaftliche und politische Krise war die Folge. Zwischen den Bundesstaaten kam es zu Konflikten, in deren Folge der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfiel: bei Referenden stimmte die Bevölkerung von Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro mehrheitlich für die eigene staatliche Souveränität. Die jugoslawische Volksarmee intervenierte 1991 in Slowenien, dann in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina (hier kam es 1995 auch zum Massaker von Srebrenica durch die Serben mit mehr als 8000 ermordeten Bosniaken), die drei Staaten konnten ihre Unabhängigkeit jedoch am Ende durchsetzen.

Serbien und Montenegro bildeten 1992 die „Bundesrepublik Jugoslawien“ mit dem muslimisch geprägten Kosovo im Süden (der Kosovo gehörte bis 1912 zum osmanischen Reich, daher war hier der Islam verbreitet). Allerdings gab es hier bereits in den Jahren zuvor starke Spannungen, weil sich die Kosovaren in Jugoslawien benachteiligt und unterdrückt fühlten und ihre Autonomie eingeschränkt worden war. Das führte dazu, dass sich die Kosovaren radikalisierten und mit der UÇK eine Befreiungsarmee für den Kosovo gründeten, die zunehmend Kollaborateure ermordete und zivile serbische Ziele angriff. Die BR Jugoslawien wiederum vertrieb große Teile der Zivilbevölkerung aus einigen Gebieten, häufig auch mit Gewalt. Der Konflikt spitzte sich zwischen 1996 und 1998 zu, es kam zum offenen Bürgerkrieg (wichtige Ereignisse sind hier zu finden). Die internationale Staatengemeinschaft bemühte sich um eine diplomatische Lösung, die mit einer Vereinbarung 1998 gefunden schien. Diese Vereinbarung sollte von Beobachtern der OSZE überwacht werden. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass die kosovarische Bevölkerung unter den Serben litt, die Mission sammelte tausende Aussagen von Flüchtlingen über Morde, Folter, Misshandlungen, Vergewaltigungen und willkürlichen Inhaftierungen.

Der Kosovo-Krieg 1999

Anfang 1999 flammte der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien erneut auf, der geplante Vertrag (Vertrag von Rambouillet) wurde von beiden Seiten nicht vollständig gebilligt und unterzeichnet. Noch unter dem Eindruck des Massakers von Srebrenica (die westliche Öffentlichkeit fühlte sich mitschuldig, viele Stimmen meinten, man hätte dem Treiben der Serben zu lange zugeschaut) kam es zur Intervention der NATO, die ohne UN-Mandat und gegen den Willen Russlands eingriff, um einen Völkermord zu verhindern – wobei trotz der humanitären Absicht ungewollt auch viele zivile Ziele getroffen wurden, die Serben legten daraufhin auch jede Zurückhaltung ab und vertrieben weitere Zivilisten, so dass etwa 700.000 Kosovaren nach Mazedonien und Albanien flohen. Die Opferzahl auf kosovarischer Seite wird auf 10.000 Personen geschätzt, jene der Serben auf 2000. Durch die Nato-Bombardierungen kamen etwa 500 Zivilisten ums Leben (siehe NZZ hier). Nach erneuten Verhandlungen zwischen einem Vertreter des Westens und Russlands mit Milosevic wurde diesem im Juni klargemacht, dass es kein besseres Ergebnis mehr für ihn geben würde, daraufhin willigte Milosevic ein. Die Intervention der NATO hatte für die Kosovo-Albaner zum Erfolg geführt und die Weichen in Richtung Unabhängigkeit gestellt. Der Kosovo erhielt mehr Autonomie und wurde internationalem Protektorat unterstellt. Nach weiteren Scharmützeln erklärte sich der Kosovo 2008 für unabhängig.

Übrigens ist im Tagesspiegel ein erhellender Vergleich zwischen dem Serbenführer Milošević damals und Putin heute. Milošević damals bezog die Situation auf dem Zweiten Weltkrieg:

„Er etikettierte Jugoslawiens ethnische Bosniaken, Albaner und Kroaten als „Faschisten“, Serben hingegen sämtlich als „Partisanen“ im Kampf gegen die Wehrmacht. Weit holte er historisch aus, wenn er den Mythos einer Schlacht zwischen Serben und Osmanen auf dem kosovarischen Amselfeld von 1389 beschwor. Seine Reden verwandelten die Türken von damals in die Albaner der Gegenwart, von denen es das Amselfeld zurückzuerobern gelte“.

Parallelen existieren insofern, als Putin „historische Ereignisse als ideologische Versatzstücke instrumentalisiert“.

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